Bildungsverlierer statt Kompromiß

Katrin Liebert
Inklusion ist nicht was für verrückt gewordene Sonderpädagogen, Inklusion geht uns alle an. Wenn wir nicht ein allgemeines Gemetzel und Abschlachten haben wollen, brauchen wir Inklusion als Schlüsselfunktion. Behinderte Kinder haben ein Recht auf Ihre Behinderung. (Zitat Prof. Dr. paed. Hans Wocken)

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe BildungsfreudInnen,

nachdem wir an der Auftaktveranstaltung der WWU Münster zum Thema Inklusion (Vielfalt neu denken-inklusiv-individuelle Förderung) mit Herrn Prof. Dr. paed. Hans Wocken, Universität Hamburg, teilgenommen haben, möchten wir als Elterninitiative: Eine Schule für Alle in Münster/1-13 noch mal in aller Deutlichkeit darauf hinweisen:

Die führende wissenschaftliche Bildungselite unseres Landes bekundet:
Eine Schule für alle, inklusiv, ist der einzig zukunftsweisende Weg für unser Schulsystem.

Für uns wird das von der Politik in NRW zwar vielleicht irgendwie wahrgenommen, aber nicht umgesetzt. Oder so umgesetzt, wie z.B. in Münster an der Fürstin von Gallitzin Schule und am Schillergymnasium: Dort werden ausgewählte Kinder mit ausgewählten Förderbedarfen (andere Arten von Förderbedarf wurden dagegen a priori ausgeschlossen) in eine einzige, sogenannte Integrationsklasse, aufgenommen, ohne dass das gemeinsame Lernen aller Kinder in irgendeiner Weise Bestandteil der Schulkultur würde.

Dies widerspricht jedoch der Aufgabenstellung Inklusion in einer Schule mit allen Kindern, LehreInnen und Eltern zu leben.
Laut Herrn Prof. Dr. paed. Hans Wocken ist das keine Inklusion und unserer Meinung nach reine Illusion, die da politisch verkauft wird.

Kinder mit Teilleistungsstörungen wie Legasthenie oder Dyskalkulie usw. werden in diese Klassen nicht aufgenommen, weiter wird kolportiert, dass an diesen beiden Schulen nur inklusive Klassen eingerichtet wurden, um höhere Anmeldezahlen zu erreichen. Solche Beweggründe sind einfach absurd.

Aber so etwas lassen Sie zu. Jeder ist auch verantwortlich für das, was er zulässt. Unser Projekt, welches zukunftsweisend ist und dringend Unterstützung benötigt, lassen Sie hingegen hängen.

Wir sind eine Elterninitiative und können Konzeptionen, in der Güte, die sie verlangen, nicht ausarbeiten. Wir engagieren uns ehrenamtlich, wir haben Kinder mit extremen Förderbedarf, wir sind berufstätig, wie sollen wir das noch zusätzlich leisten?
Die Politik spricht sich doch so sehr dafür aus, dass wir uns als BürgerInnen dieses Landes engagieren sollen, aber wollen Sie das wirklich? (siehe Rede der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft am 3. Oktober 2011 zum Tag der Deutschen Einheit in Bonn)

Die Schulen Geist und Berg Fidel, die sich auf den Weg gemacht haben, haben schon vor 1,5 Jahren eine Konzeption erstellt. Es gibt genügend ausgezeichnete Schulen, die ähnlich arbeiten, es gibt Erfahrungswerte, es gibt die Möglichkeit dieses Projekt umzusetzen, wenn es gewollt wäre. Es gibt WissenschaftlerInnen, die engagiert werden könnten, dieses Projekt zu begleiten.

Wir wollen kein Geld, wie andere Projekte in Münster. Stimmt es, dass die Wartburgschule in Münster 25 Millionen Euro braucht, um ihr Konzept umsetzen zu können?

Unser Projekt der inklusiven Pilotschule 1-13 ist nicht gewollt. Es ist zu anstrengend, erfordert Veränderung und es betrifft Kinder mit Förderbedarf, Behinderungen und Migrationshintergrund. Dafür ist kein Platz in unserer Gesellschaft, das ist lästig.

Die Gesellschaft und die Politik interessieren sich dafür, dass die Gymnasien erhalten bleiben, dass die Elite unseres Landes weiter protegiert wird. So lange Eltern, PolitikerInnen und LehrerInnen nicht persönlich betroffen sind, wird sich nichts ändern, das ist leider die Realität.

Am Ende haftet die Gesellschaft für Politiker, die resistent gegen jede Demographie und Empirie, Weichenstellungen getätigt haben, die jede Nachhaltigkeit vermissen lassen.

Deutschland sucht händeringend Fachkräfte und wir lassen das zu. Fachkräftemangel, ach wirklich? Im Jahr 2008 verließen insgesamt 64.400 Jugendliche die Schule ohne Abschluss. 2007 kündigte Bundesbildungsministerin Annette Schavan an, die Zahl der Schulabbrecher binnen fünf Jahren halbieren zu wollen. Viel aber hat sich seitdem nicht getan. (Quelle Bertelsmannstiftung)

Italien, europaweit auf Platz 1: unterrichtet zu 80% inklusiv an den Schulen, Deutschland steht hier im Vergleich an drittletzter Stelle, wie kann das ein? Inklusion ist bei uns noch nicht wirklich Thema oder nicht gewollt?

Aber Deutschland selbst nimmt sich ebenfalls vor die Rechte der behinderten Menschen zu stärken und in der Praxis umzusetzen. Zur allgemeinen Zielsetzung heißt es:
Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. (s. u. die UN Behindertenrechtskonvention)

Es liegt in der Verantwortung der BildungspolitikerInnen und der Schulen dafür Sorge zu tragen, dass sich Schülerinnen und Schüler altersgerecht entwickeln, begabungsadäquat beschult werden, als gefestigte und verantwortungsbewusste junge Menschen unser Schulsystem verlassen und eine begabungsgemäße berufliche Ausbildung beginnen können.

Was sollen wir weiter dazu sagen, Gespräche nützen wahrscheinlich nicht mehr viel, Sie wissen was wir wollen, vorschlagen, umsetzen würden.
Wir brauchen praktische Unterstützung vor Ort. Wir brauchen die Fachkräfte, die uns helfen.

Sie lassen bürgerschaftliches Engagement, Eltern die auf dem Weg sind, LehrerInnen, die wollen!!!!!!!!, Kinder, die eine gute Zukunft hätten im Schulsystem, die potenziellen Fachkräfte, die dringend gesucht werden, einfach hängen.

Und irgendwann geben diese engagierten BürgerInnen vielleicht auf, ist das ist so gewollt, ein Thema auszusitzen, bis keiner mehr etwas sagt?

Das ist die Realität. Uns Eltern sind die Zusammenhänge klar, die Politik reagiert mit 20 Jahren Verzögerung.

Die Bildungsverlierer sind unsere Kinder und unsere Familien und es interessiert einfach keinen.
Es ist ein einzigartiger fauler Kompromiss!

Mit freundlichen Grüßen aus Münster,

Dr. Birgit Leonhard,
Elternpflegschaftsvorsitzende Grundschule Berg Fidel
Sprecherin: Elterninitiative – Eine Schule für Alle in Münster – 1-13

Dr. Eva Dammann und Katrin Liebert
Sprecherinnen der Initiative:
Initiative Bildungsfreundschaft, www.bildungsburnout.de
Elterninitiative – Eine Schule für Alle in Münster – 1-13

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